Titel
Leben im Kaiserreich. Deutschland um 1900


Autor(en)
Epkenhans, Michael; Seggern, Andreas von
Erschienen
Stuttgart 2007: Theiss Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Brigitte Heck, Referat Volkskunde II, Badisches Landesmuseum Karlsruhe

Nicht ohne Grund präsentierte der Stuttgarter Theiss-Verlag am 28. Februar 2007 diese vorliegende Abhandlung "Leben im Kaiserreich" im Berliner Deutschen Historischen Museum vor dem „Kaiserpanorama“. Das Gebäude mit seiner Dauerpräsentation unter dem Motto „Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen“, wie auch das Kaiserpanorama im Besonderen, hätten als ‚Folie’ sinnfälliger kaum gewählt werden können, steht doch dieses voluminöse Bildvorführungsgerät für ein außerordentlich beliebtes frühes Unterhaltungsmedium. Als solches ist auch die Arbeit von Epkenhans und Seggern durchaus zu verstehen. Denn ein stark illustrativer Zug der Darstellung, das Heranziehen aussagekräftiger Bildquellen, literarischer Quellen und zeithistorischer Zitate ist eine herausragende didaktische Stärke der Publikation. Ein weiteres konzeptionelles Merkmal ist sicherlich die Kürze der Darstellung. Auch große Themen sind in zwei, maximal vier zudem aufwändig illustrierten Seiten abgehandelt. Dies zollt nicht zuletzt auch der momentan vorherrschenden Tendenz zur "Kleinen Geschichte" Tribut und ist stilistisch orientiert an einer unterhaltenden, essayistischen Darstellung. Diese illustrative und stilistisch wie auch konzeptionell "reduzierte Form" hat viel für sich. Sie wirbt um breite Leserschaft, indem sie Unterhaltung vor Belehrung stellt, ohne in der Verkürzung zu verfälschen. In diesem Sinn wird die Lektüre des Buches zum Genuss, zumal auch die große Menge der Illustrationen und Zitate erfrischend neu ist.

Epkenhans und Seggern, in der Bismarckforschung wie Historiographie des Deutschen Kaiserreichs ausgewiesene Kenner der Materie, bauen in ihrer Monographie auf eine thematische Mischung, die bereits die viel gelobten Arbeiten von Nipperdey (Deutsche Geschichte 1866 bis 1918) und Ullrich (Die nervöse Großmacht 1871-1918) konzeptionell auszeichnete: Sie berücksichtigen in ihrer Darstellung gleichermaßen die politische und ökonomische Entwicklung wie auch soziale Strömungen, Mentalitäten, Moden, Kunst und Wissenschaft. In drei Großbereichen thematisieren sie "Staat und Politik im Kaiserreich", "Gesellschaft, Wirtschaft und Alltagsleben" sowie "Kultur, Wissenschaft und Technik". Durch die Vielzahl der Illustrationen wird das Bild (Gemälde, Fotografien, Massendruckmedien) als "historischer Quelle" präsentiert und kommentiert. Von didaktisch ebenso großer Bedeutung ist der vielfache Einschub biographischer Darstellungen zu führenden Politiker, Militärs und Sozialreformern/Frauenrechtlerinnen.

In ihrer Darstellung betonen Epkenhans und Seggern die Dialektik der politischen, technischen und gesellschaftlichen Dynamik, die die Zeit des Wilhelminismus prägte und stellen rückständige wie progressive Momente deutlich heraus. Mit dieser differenzierten Sicht gelingt ihnen eine populäre Darstellung, die gleichwohl auch den aktuellen Positionen der akademischen Historiographie Rechnung trägt.

Epkenhans und Seggern sind in ihren kenntnisreichen Texten sichtlich um einen ganzheitlichen Blick auf die deutsche Gesellschaft zu Ende des 19. Jahrhunderts, dem "Fin de Siècle", bemüht und gestalten dieses Anliegen tatsächlich facettenreich wie pointiert zugleich. Ein ausführlicher Rückblick auf die Vorgeschichte und Gründungsphase des deutschen Kaiserreichs bietet das Fundament der Darstellung, die entsprechend des Verständnisses vom "langen 19. Jahrhundert" auch auf die Jahre hin zum Beginn des Ersten Weltkrieges schaut. Allerdings dürfte gerade dem breiten Publikum diese akademisch motivierte Aussparung einer Kurzdarstellung des Ersten Weltkrieges wohl unverständlich scheinen. Wer – ausgehend von einer Bilanzierung des Wilhelminismus um 1900 – seinen Blick 29 Jahre zurückrichtet auf die Reichsgründungsphase, müsste in gleicher Kürze auch ausblickend auf das Ende dieser Ära sehen und die Darstellung bis in das Jahr 1918 hinein verfolgen können. Diese Auslassung ist methodisch kaum begründbar und erschließt sich auch nicht durch den konzeptionellen Verweis auf die knappe Form der Darstellung. Doch das ist auch schon die einzige konzeptionelle Schwäche dieses Buches.